Fürchtet euch ruhig!

Weihnachts- und Ganzjahressatiren
Arovell Verlag 2019
154 Seiten, € 14,90
ISBN-9783903189355


 
Angeblich findet sich in der Bibel 365 Mal die Aufforderung „Fürchtet euch nicht!“ Selbst im Weihnachtsevangelium. Diese große Anzahl weist darauf hin, dass es wohl Gründe genug für ernste Befürchtungen aller Art gäbe. Das Fürchten wieder zu lernen, das will dieses Buch unterstützen. Setzen Sie sich also dem Gefühl und den damit verbundenen Zuständen aus, damit Sie nicht ganz unberührt von allerlei Zeiterscheinungen bleiben. Oder gar unempathisch, wie man so schön sagt. Furcht ist immer noch besser als Lethargie.
 
„Mit spitzer Feder schreibt Fritz Popp über Absonderlichkeiten in Politik und Gesellschaft. Und das glaubst du wirklich nicht, was da alles zutage gefördert wird.“ Cornelia Gstöttinger, bibliotheksnachrichten
 

Leseprobe

Nach dem Rechten sehn

	
Von Zeit zu Zeit muss ich nach dem Rechten sehn.
Ja, es ist nur einer.
Ein Einzelfall.
Wie das Einzelkind.
Gibt’s aber auch immer mehr.
Einzelkinder und Einzelfälle.
Kann man nichts machen.
Wenn sich unsere Leute nicht mehr vermehren wollen.
Dann gibt’s immer mehr Einzelfälle.
So ist das.
Einzelkinder kriegen oft viel zu viel Beachtung, 
das ist nicht gut.
Auch beim Einzelfall. Der wird häufig überschätzt.
So eine Einzelfallanalyse ist schwierig, 
man braucht ja Vergleichsmaterial.
Aber Einzelfälle kann man nicht vergleichen.
Jeder Einzelfall muss sonderbehandelt werden.
Fällt Ihnen etwas auf? Die Linken gibt’s immer im Plural, 
der Rechte ist immer im Singular.
Das ist leicht zu merken.

Von Zeit zu Zeit muss ich nach dem Rechten sehn.
Was er so tut.
Zum Beispiel singt er recht gern.
Wahrscheinlich, weil er sich so alleine fühlt.
Das ist wie Pfeifen im Wald.
Aber mit Liederbuch.
Ja, manchmal sind die Texte etwas seltsam, direkt altmodisch.
Weil er mag so gerne den Stabreim
Das ist der mit den gleichen Anfangsbuchstaben.
Das ist leichter als mit dem Endreim.
Oder beim Endsieg. Auch der Endreim ist oft schwierig.
Aber wir reimen, bis alles in Verben fällt.
Scherzerl.
Ja, den Stabreim, den mag er, der Rechte.
Da ist er fast ein bisschen kindisch.
„Gebt Gas, ihr alten Germanen“,
an und für sich ein perfekter Stabreim.
Literarisch gibt’s daran nichts auszusetzen.
Einwandfreier, rassereiner Stabreim.
Gebt Gas, - vielleicht wäre noch besser: 
ihr „guten Germanen“.
Sehn Sie, ich kann auch Stabreim.
Gelt, gelt, gelt.
Aber mir ist der Endreim lieber.
Vaterland in Nazihand.
Das reimt sich schon.
Aber hat nichts zu bedeuten.

Von Zeit zu Zeit muss ich nach dem Rechten sehn.
Damit er nicht ganz allein bleibt.
Damit er ein bisserl gesellschaftsfähig wird.
Und kein bedauerlicher Einzelfall mehr ist.
Einzelkinder sind ja oft asozial und ein bisserl komisch.
Aber das wird man ihnen doch nicht vorwerfen.
Die Eltern sind meist nicht ganz unschuldig.
Dann werden die Einzelkinder komisch.
Auch der Einzelfall ist davor nicht gefeit.
Geht nicht gern unter Menschen.
Er mag keine Untermenschen.
Aber trotzdem sucht er immer wieder den Anschluss.
An was Größeres.
Größer als irgendeine nationale Missgeburt.
Wer mag schon Missgeburten?
Tierlieb ist er auch, aber er mag keine Ratten.
Ratte ist doch kein Naziausdruck.
Kaffern auch nicht.
Oder Schwule.
Aber die schätzt er auch nicht.
Da hat er eine Allergie dagegen, ist so.
Jedem das Seine, sage ich.
Über Geschmack kann man nicht streiten.

Ja, ja, ich muss wieder mal nach dem Rechten sehn.
Damit es ihm gut geht und er keinen Blödsinn macht.
Wenn er alleine ist, fürchtet er sich manchmal, 
verständlich, dass er sich Schusswaffen zulegt.
Er sammelt halt auch gerne.
Nicht nur Devotionalien.
Man muss ihn bei Laune halten 
und ihm von Zeit zu Zeit etwas anbieten.
Einen Job im Ministerium. Mag er immer gern.
Manchmal muss ich ihm aber auch 
die dunkelgelbe Karte zeigen.
Damit er weiß, was recht ist und was nicht.
Auch der Rechte muss der Politik folgen.
Drum ist er ihr auch ganz nahe.
Irgendwann muss ich dann nicht mehr 
nach dem Rechten sehn.
Weil er da ist. Und wie!

KUNST AM BAUCH

Ein Desaster bahnt sich an: 
„Kunst am Bauch“ ist gefährdet!
All die schönen Tattoos
auf den Wampen und stetig 
schlaffer werdenden Bindegewebspartien, 
all diese schönen Tattoos 
werden sich auflösen, zerfallen, vergehn.
Ein kultureller Overkill!

Haben Sie sich das schon überlegt?!
Kunst am Bauch, die nächste Kulturbaustelle 
dieser Republik, ja, weltweit!
Millionen Kunstwerke auf Körpern, die letschert werden.
Ja, ich weiß wirklich nicht, 
wie man das hochsprachlich besser ausdrücken könnte.
Letschert. Leggero, wie der Italiener sagt, oder: morbido.
Was heißt: weich, gatschig, in Auflösung begriffen.
Nämlich schon lange vor dem Tod.
Wie bei öffentlichen Gebäuden.
Dort heißt es Kunst am Bau.
Am Bau. 
Also, das sagt alles: nicht der Bau ist die Kunst.
Sicher nicht.
Wie beim Tattoo. 
Dem kommt der Bauch quasi abhanden.
Die Unterlage, das Substrat, die Leinwand.
Wird schrumpelig. 

Aber haben Sie jemals davon gehört,
dass sich darüber wer Gedanken macht, 
außer meiner einer wieder einmal?
Eben. 
Interessiert keinen. 
Kunstwerke noch und nöcher gehen unter.
Kein Ministerium schreitet ein, 
kein Aufschrei der Kulturschickeria, typisch!
Österreich war einmal ein Kulturland.
Jetzt Kulturbanausen, wohin das Auge schaut.

Was passiert mit all den schönen Arschgeweihen?
Den herrlich inspirierten Körpergemälden?
Den pseudo-asiatischen Schriftzeichen?
Alle dem Untergang preisgegeben.
Eine Schande!

Sind Sie tätowiert?
Haben Sie vorgesorgt?
Sind Sie versichert gegen Kontur- und Farbenschwund?
Es mag schon sein, dass Body-Art 
genauso vergänglich ist wie Land-Art.
Trotzdem muss der Fokus auf diese populäre Kunstform 
und ihre TrägerInnen gelenkt werden.
Wie viel Geld, Schmerz und Kreativität stecken dahinter,
wie viel Widerstand musste überwunden werden,
wie viele Familien und Beziehungen 
wurden dadurch auseinandergerissen,
aber auch wie viel Freude und Anerkennung 
– neben unverständigen Blicken 
und sachfernen Kommentaren – 
trugen sie den TrägerInnen ein?

„Kunst am Bauch“, 
der vermutlich größte Kunstmarkt der Gegenwart,
ist gefährdet.
Tun wir was dagegen!
Lassen wir uns alle tätowieren!
Und beginnen wir bei unseren Kindern und Enkeln.
Ich appelliere auch an die Politiker: 
Denkt nicht nur an Reiter, Raucher und Raser,
setzt euch ein für Kunst am Bauch.
Das versteht sogar ihr.
Millionen tätowierte Österreicherinnen 
werden es euch danken.
Auch Tätowierte dürfen wählen.
Wer einen Tätowierten restauriert, tut was für die Kunst.
Kunst am Bauch, das kannst du auch!

Gemma Krippe

200 Jahre Stille Nacht feierte man im Jahr 2018 – in 100 Sprachen mindestens wird es auch gesungen, gekrächzt oder mitgesummt. Bislang fehlte jedoch eine Version in multiethnolektaler Jugendsprache.
Hier ist sie, mit einem etwas anderem Beat als im Original, nicht in diesem hatscherten Rhythmus. Allerdings: Der neue Text ist schwer zu singen und noch schwerer zum Anhören. Aber keine Angst, ich rezitiere bloß, und zwar Strophe 1--3 und die 6. Strophe, das muss genügen, um einen bleibenden Eindruck zu gewinnen. Die erste Zeile möchte ich hervorheben: „Nacht, nix Krawall, nix normal“ – der Titel ist schon vollfett. Also:

1
Nacht, nix Krawall, nix normal, 
alles pennt, nicht alles, unkorrekt,
Babo und seine Bitch de luxe
und du, Klopskind mit Trumpfrisur - 
Chillout, kein Stress!
Chillout, kein Stress!

2
Nacht, nix Krawall, nix normal, 
Sohn von Oberbaba, was lachst du?
Was heißt Lieb aus deinem göttlichen Mund?
Vollhamma! Alles wieder supa, mega bambus!
Jesus, voll krasse Geburt!
Jesus, voll krasse Geburt!

3
Nacht, nix Krawall, nix normal, 
alles wieder gut, im Plus, nix kaputt.
Anordnung von Cheff: 
Bonussystem, voll cool!
Jesus, schaust aus wie Mensch!
Jesus, schaust aus wie Mensch!

6
Nacht, nix Krawall, nix normal, 
Schaf- und Rindviehguides checken
voll coolen Sound of Angels, Alleluja optimalo.
Stereo und quadro, volles Rohr!
Jesus, du Champ, konkret real!
Jesus, du Champ, konkret real!

Alter, glaub mich, so wird Weihnachten voll zum Burner!
Voll krass, gemma Krippe! 
Was guckst du, du Opfer, bin ich Jesus?