AKTE X-MAS

Weihnachtssatiren
Arovell 2002
140 S., € 9,--
ISBN 3-901435-53-0
2003 dritte, leicht veränderte, aktualisierte Auflage.

 

HABEN SIE EIGENTLICH NOCH LUST AUF WEIHNACHTEN?

Ist Weihnachten für Sie zur Pflichterfüllung geworden?
Zur Routine?
Ist es nicht mehr so, wie es früher war?
Alles zu vertraut?
Gewohnheit gar?
Wohin ist das erregende Prickeln?
Wo der Kitzel?
So gar keine Aufregung mehr, gar kein Herzklopfen mehr vor dem Läuten des Glöckleins?
Ist es soweit gekommen?
Traurig, aber es müsste nicht so sein.
Gerade Weihnachten kann ein sooo sinnliches Fest sein, das Glanz über unsere Tränensäcke bringt.
Lassen Sie sich heuer von Ihrem Tannenbaum erregen, hüllen Sie ihn in Lametta und Latex.
Wie wär's mit Spitze an der Spitze, einem Spitzenhäubchen ganz aus Seide?
Und Schmuck am Lederbändchen?
Oder an Strapsen zwischen den Zweiglein?
Piercen Sie Ihr Bäumchen an seinen intimsten Stellen!
Oder genügt ihnen ein Baum nicht mehr?
Wie wär's mit einem zweiten?
Das bringt Spannung ins Heim, reizvolle Abwechslung.

Laut einer wissenschaftlichen Studie sind zwei Prozent der Österreicher der körperliche Liebe mit Tannenbäumen nicht abgeneigt. So berichtet etwa Manfred K. aus G., dass er immer schon eine ungeheure Erregung beim Streicheln eines Nadelbaumes empfand. Vermutlich liegt bereits eine frühkindliche Prägung vor. Und Eberhard H. aus S. gibt zu, dass er gerne junge Tannenbäume in freier Wildbahn beobachtet. Er frönt seiner Leidenschaft besonders gern, wenn die jungen Triebe zart vom Schnee überzuckert sind. Und einmal im Jahr lädt er sich eine blutjunge Tanne in sein Heim und lässt sich von ihr zärtlich kratzen.

Feiern auch Sie Weihnachten mit allen Sinnen.
Mit sanftem Auspeitschen oder Partnermassage unterm Baum.
Die Nächte um Weihnachten sind lang.
Nutzen Sie sie!

"Akte X-Mas" bietet Schmunzelgeschichten rund ums Schenken und Beschenktwerden, um den Konsumrausch und den Traditionsmissbrauch. Wer hat denn heute noch wirklich Lust auf Weihnachten? Alles wird stressig. Also, am besten schon vorher Popps Buch lesen, sich absurd anmutende Ratschläge ("praktisch, nützlich, hinterfotzig") holen und dann über Weihnachten auf die Malediven fliegen. Die Weihnachtssatiren sind Texte aus der Literaturhausreihe "Und jetzt zünden wir den Christbaum an", die Popp gemeinsam mit Manfred Koch und Eberhard Haidegger seit 13 Jahren gestaltet und die inzwischen Kultstatus genießt.

Christian Weingartner, Flachgauer Nachrichten

Leseprobe

DAS FEST DER LIEBE

Stechen, schneiden, anzünden,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
das ist nicht die Kurzbeschreibung eines Horrorfilmes, nein,
stechen, schneiden, anzünden,
ist auch nicht die ungelenke Übersetzung
von harmlosen Vergnügungen unserer Jugend,
wie etwa Piercing, Selbstverstümmelung und Styroporparty, nein, nein,
stechen, schneiden, anzünden,
dahinter verbirgt sich etwas Akzeptiertes, Vertrautes, Beliebtes,
stechen, schneiden, anzünden,
einmal im Jahr dürfen wir es alle,
stechen, schneiden, anzünden,
einmal im Jahr wird die sadistisch-pyromanische Sau losgelassen,
gibt´s öffentlich akzeptierte Triebabfuhr,
werden Hausfrauen zu Bestien,
werden selbst schwächliche Männer wagemutig
und Kinder gemeingefährlich -
beim Keksausstechen,
Baumumschneiden
und Kerzen anzünden.
Stechen, schneiden, anzünden,
wenn das das "Fest der Liebe" ist,
müssen wir "Liebe"
wohl ein bisschen anders definieren.

INTERNET, SCHÖN VERSCHNEIT

Weihnachten war früher zeitloser. Heutzutage ist es dem rasanten technischen Wandel unterworfen. Drum sehen auch Weihnachtsmärchen heute anders aus.
Ging´s früher häufig um fast erfrorene arme Kinder, die romantisch durch den unverschämt dichten Schneefall taumelten, rote Bäckchen, blaue Zehen, klamme Fingerchen und Fieberanfälle bekamen, sich immer mehr verirrten und so gut wie fast nicht mehr zu retten waren, besteht das Problem realistischer Weihnachtsgeschichten heutzutage darin, dass die Kinder heut nicht mehr rausgehen, um zu erfrieren oder sich verirren. Leider, kann man da nur sagen, früher war nämlich alles viel schöner. Zumindest für Verfasser von diesen albernen Geschichten.
Und früher trugen die schönen Weihnachtskinderfastverlustgeschichten so bezaubernde Titel wie etwa "Bergkristall" oder "Das Mädchen mit den Zündhölzern", - heute müssten sie wahrscheinlich "Pentium" oder "Gameboy" heißen.

Gut, lasset uns beginnen. D.h. wir gehen auf den Start-Modus und klicken die Geschichte, die natürlich eine true story ist, an.
Es war einmal ein Kid, alle nannten es Kid, weil es immer sagte: "Kauf ich doch!".
Zu dem sprach eines Tages eine Stimme, die es als die seiner nämlichen Mutter decodierte.
"Placido", sagte seine Mutter, denn sie hatte alle CDs von den drei Tenören, "Placido Jose Luciano", sagte sie, "steig aus aus deinem Gerät, verlasse dein trautes Web und hol uns vom Bankomat etwas Cash und besorge zwei Packungen Zigaretten vom Zigaretten-Automaten."
Und weil es knapp vor Weihnachten war und das Kid sich vorgenommen hatte, seiner Mutter einmal im Jahr auch zu gehorchen und weil es sich eine 8% Rendite davon erwartete, so verließ es sein gemütliches Internet.
Und es begab sich, dass es sich in die Reality, sprich: Realität, begab.
Dabei verlor es unmerklich den Anschluss ans Web.
Es stapfte also etwas unbeholfen herum im echt original wirklichen Leben, bis es sich fragte:
?In welchem Level bin ich jetzt? Und was ist das für ein Scheißgame??
Es war, kurz gesagt: ratlos.
Kid heißt nämlich auch: Keine Idee. Nicht nur: Kleine irdische Deppen. Oder im Plural: Komm in den Supermarkt.
Unser Kid fror also ganz entsetzlich, wusste aber auch nicht, was das bedeuten sollte.
Denn es trug außer einem T-Shirt und seinen extrem-weiten, aber verrutschenden Hosen nicht viel an seinem Leibe. Es war nämlich wirklich Winter geworden und das hatte ihm niemand gesagt. Im Internet ist nämlich immer Sommer.
Und im Computer wird es auch nicht finster. Außer man zieht den Stecker aus der Dose.
Irgendjemand hatte offensichtlich aber den Stecker gezogen und es ward Nacht. Und irgendwo blinkte es so komisch, aber das war kein Cursor, sondern eine Leuchtreklame.
"Ist da jemand?" wollte das Kid schreiben, und es dachte sich:
"Ich will ein E-Mail schicken, damit sie mich finden."
Aber es fand keine Suchmaschine und es hatte seine Tastatur auch nicht mit. Von einem Browser ganz zu schweigen.
Außerdem hatte es Internetadresse und Password vergessen.
Und ohne Internet-Adresse bist du nämlich so gut wie obdachlos.

Da aber sah es drei Männer: Sie hießen Provider und Server und Modem. Die sagten zu ihm: "Wo ist denn deine Homepage, kleiner User?"
Und sie gaben ihm einen Laptop und beauftragten ihn:
"Stelle sicher, dass Password und Server-Verbindungen richtig sind."
Dann loadeten sie ihm ein Programm herunter, damit es wieder online gehen konnte.
"Schreib brav der Christmas-Mailbox. Du brauchst nämlich dringend neue Fetzen", meinten sie, als sie das Kid in seinen komischen Kleidern genauer ansahen.
"Und ja keine falschen links mehr, Kleiner!" sagten sie auch noch, bevor sie unser Kid verließen.

So könnten Weihnachtsgeschichten heutzutage lauten. Aber ich glaube kaum, dass die Kids das lesen könnten. Also schreibe ich sie lieber nicht. Sondern spiele ein bisschen mit meinem Computer. Es gibt da eine interessante Web-Adresse: Weihnacht.com.ac.at.
Da muss ich jetzt ganz schnell reinschaun.